J.R.R. Tolkien

     Bauer Giles von Ham

     Gelesen von Hans Paetsch
 

 

 

"Vom Landwirt zum Lokalmatador". So, oder so ähnlich könnte die Schlagzeile lauten, hinter der sich die Erfolgsgeschichte des Aegidius Ahenobarbus Julius Agricola de Hammo, kurz Bauer Giles von Ham genannt, verbirgt. Ausgerechnet jener Giles, der ohne Zweifel zu den Schwerfälligsten seiner Art gezählt werden darf, kommt urplötzlich in die Verlegenheit, einen Riesen aus seinem Vorgarten vertreiben zu müssen. Obwohl sich das Ungetüm schon durch einen bloßen Nagel aus des Bauern Donnerbüchse in die Flucht schlagen läßt, merkt dieser, daß seine Tat beim Weitererzählen gewonnen hat, und er zum Helden geworden ist. Als schließlich sogar der König seinen Beifall in Form eines ausrangierten Schwertes bekundet, erreicht das Ansehen des ach so tapferen Kämpfers seinen Höhepunkt. Alles scheint einen günstigen Verlauf zu nehmen, bis eines Tages ein Drache auftaucht.

Da die Ritter des Landes zu einer lethargischen Einheit verkommen sind, und die Dorfbewohner sich lieber hinter ihrer neuen Vorzeigefigur verstecken, kommt Giles in die Bredouille, auch dieses Monstrum in die Flucht schlagen zu müssen. Weil sich zudem herausstellt, daß das Geschenk des Königs einst dem größten aller Drachentöter gehört hat, und der Pfarrer just diese Neuigkeit jedem erzählt, der es hören will, bleibt dem armen Auserwählten nichts anders übrig, als sich auf die Suche nach dem gesichteten Unwesen zu begeben.
Zusammen mit "Schwanzbeißer", so der volksgeschichtliche Name des Schwertes, und dem neurotischen Vierbeiner Garm macht sich der Unglücksselige auf die Reise, wohlwissend, daß lokales Ansehen ständiger Auffrischung bedarf.

 

1 CD
Laufzeit ca. 59 Minuten

Lesung

Ab 7 Jahren

Produktion:
Norddeutscher Rundfunk 1984

Der Hörverlag 2005

 

 

Spätestens an dieser Stelle wird die Aktualität von Tolkiens Geschichte deutlich, die zeigt, wie eine bis dato wenig beachtete Privatperson von ihrer Umwelt zum öffentlichen Eigentum erklärt wird. Trotz zahlreicher märchenhafter und fantastischer Erzählelemente wirkt Giles selbst wie eine hochstilisierte Gestalt moderner Medien, auf dessen Schultern die Erwartungen und Hoffnungen der Welt zu ruhen scheinen.

Daß die Begegnung zwischen Bauer und Drache natürlich vollkommen anders abläuft als erwartet, zeigt schon die Illustration des Covers von Sabine Wilharm: Während Giles jegliches Bild eines klassischen Helden sprengt, ergreift sein tierischer Begleiter Garm schon beim ersten Anblick des nicht wirklich ernst zu nehmenden Drachen mit einem in bester Erzähler-Manier gejaultem "Hilft, hilft" die Flucht. Doch Tolkien wäre nicht der Meister im Kreieren verdrehter Welten, wenn seine Hauptfigur am Ende nicht der Liebling des Landes wäre: Mit einer gehörigen Portion Bauernschläue gelingt es Giles von Ham, den Drachen zu zähmen und seine einst unfreiwillige Frontposition weit über das Dorf hinaus zu behaupten. Er, der der Welt außerhalb seines dörflichen Mikrokosmos keine Bedeutung schenkte, entwickelt sich im Laufe von 59 Minuten zu einer landesweiten Größe, dessen Ansehen sogar die Macht des Königs schwinden läßt.

Insgesamt ein wahres Juwel unter den Hörbüchern, das durch den CD-Relaunch im Juli des Jahres seine wohl verdiente Beachtung erfährt, und Sprecher Hans Paetsch beim Vertonen sicherlich des öfteren ein amüsiertes Lächeln aufs Gesicht zauberte.

Petra

 


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